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Fukuoka

(Vortrag von Tomohisa Hiramatsu, Germanistik-Doktorand, Universität Kyushu, derzeit Auslandsaufenthalt an der LMU)

So wie der lange, dunkle Winter langsam endet und dann der frische, schöne Frühling kommt, so endet endlich auch mein erstes Semester in München – mit einigen Klausuren und einem deutschen Fest: dem Fasching. Heute möchte ich durch diese Themen – einer Klausur und einem Fest, allerdings einem japanischem – etwas über meine Heimatstadt Fukuoka erzählen.

Für mich war eine der Klausuren in Deutschland sehr merkwürdig: Nachdem der Dozent uns die Blätter der Klausur ausgehändigt hatte, gab es bei uns Studenten einige Verwirrung. Ein Kommilitone sprang auf und rief: „Hallo, Herr Professor! Aber das sind ja fast die gleichen Fragen, die Sie uns bei der letzten Übungsklausur gegeben haben! “ – „Stimmt,“ antwortete der Professor tief und langsam, „aber die Antworten haben sich geändert.“ Naja, also, damals war ich zuerst fassungslos, denn ich habe mich in Fukuoka daran gewöhnt, dass die Fragen und die Antworten ganz und gar die Gleichen sein sollten, wenn der Lehrer die gleiche Klausur ausgibt. Die Studenten aus Fukuoka hätten in einer Situation, wie ich sie hier in München erlebt habe, einfach geschwiegen und die gleichen Antworten ein zweites Mal gegeben. Natürlich wären sie dann davon ausgegangen, eine gute Note zu bekommen. Aber wäre der Erfolg ausgeblieben, hätte sich trotzdem niemand beklagt – aus Stolz. Ich denke, dieses Verhalten ist eine Beispiel für das, was ich die Gegensätzlichkeit der Fukuokaner nenne.

Vielleicht hat dieser typische Charakterzug der Bewohner von Fukuoka einen geographischen und historischen Ursprung: In Fukuoka gibt es nicht nur die Berge, sondern auch Ebene und Meer. Es ist so angenehm, in Fukuoka zu wohnen, dass dort genauso viele Leute leben wie in München: 1,3 Millionen Menschen. Das warme Fukuoka liegt im südlichen Teil von Japan. Wenn das Wetter schön ist, kann man über das Meer bis nach Korea sehen, und gleich dahinter liegt China. Deswegen war Fukuoka früher Japans Tor zur Welt und wurde sogar „Dazaifu“, große Hauptstadt, genannt. Die Leute handelten dort energisch und freundlich mit Fremden, kämpften aber gleichzeitig gegen ausländische Feinde für ein eigenes Land. Das war vor etwa 1000 Jahren.
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Heutzutage gelten Tokyo und Osaka als die zwei wichtigsten Großstädte Japans. Tokyo ist natürlich der Regierungssitz. Und, wie in den meisten Metropolen der Welt, sind die Leute dort eher kühl. Osaka ist ein Zentrum des Handels, wo es viel gutes Essen gibt und einen Dialekt, der sehr energisch klingt. Die Leute in Osaka sind wahre Sprachkünstler.

Fukuoka vereint die guten Seiten von Tokyo und Osaka – und schafft dabei eine eigentümliche, dritte Kultur. Die Menschen dort verbinden die heftige, ursprünglichere Lebensweise des Landesinneren mit dem kühlen Stolz der früheren "Hauptstädter".

Ein gutes Beispiel dafür ist eine Begegnung, die ich einmal mit einem Busfahrer in Fukuoka hatte. Der eigentlich ruhige Mann saß, wie natürlich jeden Tag, vorne auf dem Fahrersitz, als sich plötzlich ein Auto vor seinen Bus drängte. Daraufhin wurde der Busfahrer sehr wütend und schimpfte, unglaublich laut: „Scheiße! Was machst du denn? Hast du keine Augen? Dieses Arschloch!“ (Ich kann leider nicht alles übersetzten, weil ich die Worte auf deutsch nicht kenne). Gleich danach entschuldigte er sich aber ganz ruhig bei seinen Fahrgästen: "Es tut mir leid, dass ich meine Worte ein wenig schlecht ausgewählt habe." In Tokyo hätte er wahrscheinlich nie geschimpft. In Osaka hätte er sich wahrscheinlich nie entschuldigt. Aber in Fukuoka gibt es eben diese sonderbare Gegensätzlichkeit oder Polarität.

Auch an einem bestimmten Fest in Fukuoka kann man diese Polarität beobachten. Das Fest heißt „Dontaku“; dieser Name stammt von dem niederländischen Wort „Zondag“. Das Fest hat eine lange Tradition, heißt aber erst seit dem Zweiten Weltkrieg so, wie es heute heißt. Die Namensänderung sollte einen Neuanfang symbolisieren. Jeden Frühling verkleiden sich zu "Dontaku" über 30000 Menschen und tanzen dann den ganzen Tag auf den Straßen. Zwei Millionen Leute schauen diesem Umzug, der an Karneval oder Fasching in Deutschland erinnert, zu – und genießen ihn sehr. Wenn Sie in Japan einmal einen „Samurai“ oder eine „Geisha“ sehen möchten, wäre es gut, einfach dieses Fest in Fukuoka zu besuchen. Es findet jedes Jahr vom 3. bis 5. Mai statt.
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Es gibt übrigens noch andere Feste in Fukuoka. Eines davon heißt „Yamakasa“ und wird im Sommer gefeiert. Dabei tragen etwa 30 starke Männer einen schweren Wagen mit Puppenfiguren auf ihren Schultern. Sie laufen ungewöhnlich schnell – in etwa 30 Minuten legen sie mit ihrem "Kampfwagen" fünf Kilometer zurück. Die Männer tragen einen "Hundosi", eine Art "Lendenschurz", wie ihn auch Tarzan anhat. Die Bewohner des Studentenwohnheims der Kyushu-Universität begehen übrigens ein schreckliches, aber komisches Studentenfest, das dem "Yamakasa" nachempfunden ist. Aber wegen des schrecklichen Charakters dieses Fests, und weil mir die Zeit fehlt, kann ich Ihnen an dieser Stelle leider nicht mehr darüber erzählen. Wenn Sie Lust haben, lassen Sie doch einfach Ihrer Fantasie freien Lauf. Ansonsten empfehle ich Ihnen, mal nach Fukuoka zu fliegen. Dann können Sie vielleicht einen Blick auf die nur mit Unterwäsche bekleideten, vor dem Studentinnenwohnheim herumlaufenden Männer werfen. Mehr kann ich Ihnen aber wirklich nicht verraten.