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Saga und Yanagawa

(Björn Rosen)

Kanal in YanagawaMit Kyushu, einer kleineren, etwas verschlafenen Hauptinsel, auf der auch Fukuoka liegt, verbinde ich vor allem eines: ein Erdbeben. Es war das erste Erdbeben meines Lebens. Japan ist in dieser Hinsicht nicht gerade gesegnet. Das Land wird von allen denkbaren Naturgewalten heimgesucht. Regelmäßig. Es ist wohl kein Zufall, dass Godzilla aus Japan kommt. Tsunami, um ein anderes Beispiel zu nennen, ist eines der wenigen Wörter, das wir Deutsche aus dem Japanischen in unsere Sprache übernommen haben. Außerdem müssen die Japaner mit Taifunen leben. Und eben mit Erdbeben.

Auf Kyushu sind Erdbeben eigentlich sehr viel seltener als zum Beispiel auf Honshu. Dennoch reagierten die Menschen um mich herum bei dem Erdstoß routiniert, fast gelassen. Wir – wieder war es eine Delegation Münchner Studenten – waren zu Besuch in der kleinen Stadt Yanagawa, unweit von Fukuoka, unweit auch von Saga, einer Stadt, von der später noch die Rede sein wird. Yanagawa ist eine Art kleines Venedig – nun ja, durchzogen jedenfalls von feinen Kanälen mit redseligen Gondelführern, die auf Nachfrage Kinderlieder singen. Die Eltern von Yoko Ono, der Witwe John Lennons, haben dort übrigens ein Haus. (Bild: Kanal in Yanagawa)

Als die Erde also für gut zwanzig Sekunden bebte, war ich gerade dabei, in eine Gondel einzusteigen, und dachte im ersten Augenblick, das Wasser des Kanals sei unruhig, deshalb schwanke der Steg. Ein Blick auf das zweistöckige Haus gegenüber aber verriet: Hier war alles, einfach alles in Bewegung. Umso erstaunlicher die Reaktion: Zwar gab es ein paar Schreie, sonst aber blieb es ruhig, obwohl in Yanagawa an diesem Tage – es war ein traditioneller Festtag – viele Menschen auf den Beinen waren. Im nächsten Augenblick, es mögen 20 Sekunden gewesen sein, war der Schreck vorbei. Einige Straßen mussten gesperrt werden. In Yanagawa waren Rohre gebrochen und Steinstatuen umgefallen, in Fukuoka war die Glasscheibe eines Hochhauses in die Tiefe gestürzt. Und das Erdbeben gab den Japanern bloß noch Stoff für ein wenig Small Talk und für Spekulationen über Nachbeben.

Uns Deutschen saß der Schock dagegen eine ganze Weile in den Knochen, auch der ungewohnte Nervenkitzel. Die Japaner aber haben lernen müssen, mit den Naturgewalten zu leben. Und sie richten sich stoisch darauf ein.

Wir wurden übrigens am gleichen Tag noch interviewt und standen im Zentrum der Aufmerksamkeit der lokalen Presse. Mit dem Erdbeben hatte das aber wenig zu tun.

Aki Naritomi neben einer Statue, die sie als 5-Jährige zeigtIn Saga, einer größeren Kreisstadt in der Region, war das vielleicht berühmteste Kind der Stadt heimgekehrt – Aki Naritomi, heute Lektorin für Japanisch an der LMU. Sie stand einst, als kleines Kind, ihrem Vater, einem Bildhauer Modell. Die Statuen, die dabei entstanden, kann man noch heute in der Region finden.